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„Ohne Wärmewende keine Energiewende – ohne grünen Wasserstoff keine Wärmewende“

Max Viessmann spricht im Interview zu bezahlbarer Wärmeversorgung und zur Verteildebatte von Wasserstoff in Deutschland. Er ist Co-CEO und Mitglied des Executive Boards der Viessmann Gruppe. Das 104-jährige Familienunternehmen bietet technologieführende Wärme- und Kältelösungen auf Basis maximaler Energieeffizienz. Neben seiner Rolle im Nationalen Wasserstoffrat sitzt Max Viessmann auch im Aufsichtsrat der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D), die disruptive Technologien fördern soll.
Max Viessmann, Co-CEO und Mitglied des Executive Boards der Viessmann Gruppe Foto: Viessmann Werke

Herr Viessmann, Sie sagen der Wärmesektor ist prädestiniert für den neuen Energieträger Wasserstoff. Wodurch ist er das?

Max Viessmann: Ohne Wärmewende wird es keine Energiewende geben – und ohne grünen Wasserstoff keine Wärmewende! Das Potenzial des Wärmesektors wird bislang extrem unterschätzt. Der Wärmemarkt ist ein sehr großer und wichtiger Hebel zur Dekarbonisierung und damit zum Erreichen der Klimaziele. Er verbraucht gut ein Drittel des gesamten Endenergieverbrauchs – zählt man Prozesswärme hinzu, ist es sogar mehr als die Hälfte – und erzeugt bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen. Der Wärmesektor kann somit sofort einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten. Keine andere Branche kann die klimaschonende Nutzung von CO2-neutral erzeugtem, grünen Wasserstoff schneller voranbringen als der Wärmemarkt. Und wasserstofffähige Wärmeerzeuger werden bereits heute millionenfach in Europa eingesetzt. Allein unser Unternehmen hat im vergangenen Jahr rund 150.000 Gas-Brennwertgeräte in Europa abgesetzt, die bis zu 30 Prozent Wasserstoff im Erdgas problemlos nutzen können. Würden nur 10 Prozent des Erdgasverbrauchs in Deutschland durch Wasserstoff ersetzt, könnten auf einen Schlag 6,5 Millionen Tonnen CO2 jährlich vermieden werden. Das entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von rund drei Millionen Autos mit Verbrennungsmotor.

Auf welchem Stand ist die Wasserstoff-Technik bei Wärme- und Kälteanwendungen und mit welchen Produkten ist Viessmann bereits am Start?

Max Viessmann: Alle modernen und nahezu alle älteren Gas-Heizgeräte können bis zu 10 Prozent Wasserstoff im Erdgas nutzen. Unsere aktuellen Vitodens Gas-Brennwertgeräte können eine 20-prozentige Beimischung problemlos und effizient in Wärme umwandeln. Als Innovationsführer der Branche entwickeln wir zurzeit Gas-Wandgeräte und Brennstoffzellen-Heizgeräte mit 100 Prozent H2-readiness, also für den Betrieb mit reinem Wasserstoff. Bereits heute lassen sich auch unsere Vitomax Heißwasser- und Dampferzeuger für den Einsatz in Industrie und Kommunen mit 100 Prozent Wasserstoff betreiben, der etwa bei chemischen Prozessen anfällt und sonst häufig ungenutzt in die Umwelt abgegeben wird. Neben der Vermeidung von klimaschädlichen CO2-Emissionen ist dies auch eine besonders wirtschaftliche Lösung. Darüber hinaus erweitern wir noch in diesem Jahr unser Portfolio um weitere “H2-ready”-Lösungen: Brennwert-Units und Blockheizkraftwerke für die Wärme- bzw. Stromversorgung größerer Gebäude, wie zum Beispiel Mehrfamilienhäuser, Gewerbe- und Industriebetriebe.

Sie sind im Nationalen Wasserstoffrat, stehen der Politik beratend zur Seite. Wie lässt sich eine verlässliche und bezahlbare Wärmeversorgung sicherstellen, die auch den angestrebten Klimazielen gerecht wird?

Max Viessmann: Wir brauchen pragmatische und intelligente Lösungen. Wir müssen den Menschen nicht nur eine, sondern viele Optionen der Beteiligung anbieten. Denn nur dann können sie für sich und andere einen Beitrag für die Umwelt leisten, den sie sich auch „leisten” können. Ohne eine Berücksichtigung sozialer Verhältnisse wird die Akzeptanz der Menschen für die Energiewende drastisch sinken. Wir dürfen keine Zeit verlieren und müssen alle Optionen ausschöpfen.

Viessmann ist von Anfang an maßgeblich beteiligt am Energiewende-Pilotprojekt „SmartQuart“, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Was kann man sich darunter vorstellen?

Max Viessmann: SmartQuart ist das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte erste Reallabor der Energiewende. An drei Standorten in Deutschland – Essen, Bedburg und Kaisersesch – entstehen in den kommenden Jahren smarte Quartiere, die sich nahezu klimaneutral mit Energie versorgen werden. Ein zentrales Element ist die intelligente Vernetzung der verschiedenen Energiesysteme innerhalb und zwischen den Quartieren. Bis Ende 2024 werden neue Produkte und Lösungen für die Planung, die Errichtung und den Betrieb der energieoptimierten Quartiere erarbeitet. Während in den Quartieren in Essen und Bedburg im Wesentlichen strombasierte Lösungen zum Einsatz kommen werden, soll im rheinland-pfälzischen Kaisersesch bis 2023 eine komplette Wasserstoff-Infrastruktur entstehen. Dazu wird die gesamte Wertschöpfungskette eingerichtet – von der Erzeugung regenerativen Stroms für den Betrieb der Elektrolyseure, der Speicherung des Wasserstoffs und dessen Verteilung bis hin zu seiner Nutzung in den Sektoren Wärme- und Stromversorgung, Industrie sowie Verkehr. Für den Wärmesektor wird Viessmann wasserstoffbetriebene Brennwertgeräte zur Verfügung stellen. Hinzu kommen Brennstoffzellensysteme für die Strom- und Wärmeversorgung, die ebenfalls für den Betrieb mit reinem Wasserstoff ausgelegt sind.

Beim „HYDROGEN DIALOGUE“ werden Sie am 22. Juni als Experte an der Podiumsdiskussion „Champagner oder Tafelwasser – Zur Verteildebatte von Wasserstoff in Deutschland“ teilnehmen. Wie verläuft diese Debatte derzeit und welche Ergebnisse darf man erwarten?

Max Viessmann: Wasserstoff bringt neue Optionen für klimaneutrale Gebäude. Das ist nur mit einer ausgewogenen Renovierungsstrategie, die auch Wasserstoff mit einbezieht, zu schaffen – andernfalls werden sehr wahrscheinlich unsere Klimaziele an mangelnder Akzeptanz scheitern. Hinzu kommt, ein sinnvoller Energieträgermix, der die Nutzung von Wasserstoff im Wärmemarkt mit einbezieht, optimiert unser Energiesystem. Der Ausbau von Stromtrassen und die Bereitstellung von Reservekraftwerken kann deutlich geringer ausfallen, was mehrere hundert Milliarden an Kosten spart. Und nicht zuletzt wird die Nutzung von Wasserstoff im Gebäudesektor zu einer gesicherten Nachfrage nach diesem Energieträger führen. Somit ist dieser Sektor ein zentraler Baustein für die rasche Etablierung einer Wasserstoff-Wirtschaft – zum Nutzen aller Sektoren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Tipp: Mehr zur Verteildebatte und weitere Meinungen dazu erwarten Sie bei der Podiumsdiskussion am 22. Juni beim „HYDROGEN DIALOGUE“ mit Max Viessmann, Gunda Röstel (Kaufmännische Geschäftsführerin Stadtentwässerung Dresden GmbH) und Dr. Mathias Kranz (Vice President Onsite & Bulk Germany Linde GmbH): „Champagner oder Tafelwasser – zur Verteildebatte von Wasserstoff in Deutschland“.
22.06.2021, Beginn: 13:30 Uhr

Aus der Wasserstoffgemeinschaft.

Für die Wasserstoffgemeinschaft.