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„Wir brauchen Innovationen in allen Bereichen“

Holger Lösch im Interview über Bedingungen von Wasserstoff-Import, die Notwendigkeit einheitlicher Standards und den HYDROGEN DIALOGUE als Mythen-Aufklärer. Der gebürtige Unterfranke Holger Lösch ist als stellvertretender Hauptgeschäftsführer im BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) u.a. für Energie & Klima, Umwelt, Technik, Nachhaltigkeit und Mobilität & Logistik zuständig. Er war verantwortlich für die umfassende BDI-Studie „Klimapfade in Deutschland“, in der erstmals ein enormer Bedarf an Wasserstoff für die Umsetzung der Klimaziele beschrieben wurde.
Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer im BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie). Foto: Christian Kruppa

Herr Lösch, im Dezember 2020 startete die Machbarkeitsstudie „HySupply“ zum Thema erneuerbarer Wasserstoff. Mit wem kooperiert der BDI dabei, was soll untersucht werden und welche Ziele wurden definiert?

Holger Lösch: Gemeinsam mit acatech – deutsche Akademie der Technikwissenschaften, koordiniert der BDI die deutsche Projektgruppe, die aus einer Reihe renommierter Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und Industrie besteht. Auf australischer Seite wird das Konsortium von der University of New South Wales (UNSW) mit Baringa Partners und Deloitte als zentrale Partner geleitet.

Das Ziel des Projekts ist es, zu untersuchen unter welchen Bedingungen der Import von erneuerbarem Wasserstoff oder wasserstoffbasierten Energieträgern von Australien nach Deutschland bzw. Europa möglich ist. Dafür arbeiten die zwei Projektgruppen im ersten Jahr vor allem unilateral, um den Blick für nationale Herausforderungen und Hürden für die Lieferkette zu schärfen. Im zweiten Jahr werden die Ergebnisse dann vertieft und zu einer bilateralen Roadmap zusammengeführt, die darlegt, welche Stellschrauben bis wann gedreht werden müssen, um den großskaligen und kostengünstigen Import von erneuerbaren Energieträgern zu ermöglichen.

Beim HYDROGEN DIALOGUE werden Sie am 23. Juni als Experte an der Podiumsdiskussion „Sustainable international value chains as opportunities for industry and energy policy“ teilnehmen. Was kann für Industrie und Energiepolitik bei erfolgreicher „Chancenverwertung“ am Ende als Ergebnis herausschauen?

Holger Lösch: Um das Ziel der Klimaneutralität erreichen zu können, ohne dass zentrale industrielle Wertschöpfungsketten in Gefahr geraten, braucht es klimaneutrale Energieträger wie Wasserstoff in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen. Das kann nur erreicht werden, wenn wir schnell in den industriellen Maßstab für die Produktion kommen und dafür braucht es internationale Kooperationen mit Ländern, die potenziell attraktive Gestehungskosten für Wasserstoff bieten können.

Für Deutschland bietet ein globaler Wasserstoffmarkt aber nicht nur die Möglichkeit ausreichend klimaneutrale Moleküle zu importieren, sondern die dafür benötigten Technologien wie der Elektrolyse oder Anlagen zur Synthese von PtX-Produkten zu exportieren. Damit sichert sich Deutschland nicht nur industriepolitische Vorteile und schafft neue Arbeitsplätze, sondern trägt auch zur Defossilisierung der Energiesysteme der Partnerländer bei, was insbesondere bei Kooperationen mit traditionellen Energieexporteuren wie Australien positiv für die globale Energiewende ist.

In der von Ihnen verantworteten umfassenden BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ bezeichnen Sie Wasserstoff als möglichen „Game-Changer“ bei der Erreichung der Klimaziele. Wo steht Deutschland bei der Erforschung, Entwicklung und Einsatzreife von Technologien?

Holger Lösch: Deutsche und europäische Maschinen- und Anlagenbauer sind Marktführer im Bereich Wasserstoff und PtX-Technologien. Allerdings fehlt es derzeit noch an großskaligen, automatisierten Fertigungen solcher Anlagen, was zentral für den Markthochlauf von Wasserstoff ist. Hierzu muss auch an der Skalierbarkeit von Rohstoffeinsatz und Materialsynthesen verstärkt geforscht, um in den industriellen Maßstab zu kommen. Dies betrifft neben der PEM-Elektrolyse auch die Hochtemperaturelektrolyse. Da andere Länder aber nicht ausschließlich auf grünen Wasserstoff setzen werden, müssen wir Technologieoffenheit bewahren und ebenfalls die Forschung zu alternativen Verfahren wie der Methanpyrolyse verstärken. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Forschung im Bereich Abscheidung und Nutzung von CO2 weiter voranzutreiben (CCUS).

Mit Blick auf die Notwendigkeit von Wasserstoffimporten ist die Forschung zu Transportmöglichkeiten von Wasserstoff wie bspw. Flüssigwasserstoff, Ammoniak oder flüssigen organischen Wasserstoffträgern (LOHC) von großer Bedeutung. Ebenfalls gibt es noch Optimierungspotenziale was den Einsatz z.B. über Brennstoffzellen und Speicherung von Wasserstoff angeht.

Kurz gesagt: Wir brauchen Innovationen in allen Bereichen, um Deutschland und die EU als Leitanbieter für Wasserstoff-Technologien zu etablieren.

Was müsste umgesetzt werden, damit die Nationale Wasserstoffstrategie zu einem Meilenstein für den Industriestandort Deutschland werden kann?

Holger Lösch: Die Nationale Wasserstoffstrategie war ein erster wichtiger Schritt in Richtung Markthochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft. Allerdings sind die Ausbau-Ziele für Elektrolysekapazität mit Blick auf das neue Klimaschutzgesetzt und im europäischen Vergleich eher moderat (5 GW in 2030 im Vergleich zu mindestens 40 GW in Europa). Eine der wichtigsten Stellschrauben sind die Gestehungskosten von Wasserstoff. Vor diesem Hintergrund ist die erfolgte EEG-Umlagebefreiung zu begrüßen. Allerdings sind die Anforderungen zur Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff noch unklar, was ein großes Investitionshemmnis darstellt. Deshalb müssen diese schnellst möglich und flexibel definiert werden. Das gilt auch für die Methodologie zur Berechnung des erneuerbaren Anteils bei Wasserstoffherstellung in der Kraftstoffproduktion beim Netzbezug von Strom, die noch vor der Deadline im Dezember 2021 festgelegt werden soll. In Hinblick auf neue Abnehmer von Wasserstoff bspw. der Stahlindustrie sollte die Förderung von Betriebskosten in Form von CfDs, also Differenzverträgen, etabliert werden. Hierzu besteht noch großer Diskussionsbedarf zwischen den betroffenen Branchen und der Bundesregierung. Damit Wasserstoff überhaupt bei den Abnehmern ankommen kann, braucht es ebenso schnellst möglich eine flächendeckende Infrastruktur für den Transport.

Einige weitere Stellschrauben können und müssen aber in einem koordinierten Ansatz auf europäischer Ebene gestellt werden, um ein Flickenteppich von nationalen Regulierungen zu vermeiden.

Für die Entwicklung einer zukünftigen globalen Wasserstoffwirtschaft bedarf es auch einer ausgeklügelten EU-Strategie. Wie soll diese Ihrer Meinung nach ausgerichtet sein?

Holger Lösch: Für die Etablierung eines handelbaren Marktes für Wasserstoff in Europa spielt Technologieoffenheit eine große Rolle. Deshalb braucht es einheitliche Standards für die Klassifizierung sowie Zertifizierungsmechanismus für erneuerbare Gase, die am CO2-Fußabdrucks bemessen werden. Wenn Europa hier schnell ist, können diese Standards in einem nächsten Schritt auch international transportiert werden.

Um den zukünftigen Bedarf an Wasserstoff und klimaneutrale Energieträger schnellst möglich decken zu können, wird die EU auch auf Importe aus nicht-europäischen Ländern angewiesen sein. Deshalb braucht es eine europäische Importstrategie für klimaneutrale Energieträger, die es ermöglicht, die Standorte mit den besten Potenzialen für erneuerbare Energieerzeugung zu nutzen und sie damit in den entstehenden globalen Wasserstoffmarkt zu integrieren.

Beim HYDROGEN DIALOGUE trifft nationale und internationale Expertise auf ein interessiertes Publikum aus Deutschland und aller Welt. Wie wichtig kann dieser jährliche Austausch innerhalb der Wasserstoff-Gemeinschaft für die Entwicklung einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft sein?

Holger Lösch: Der HYDROGEN DIALOGUE deckt ein breites Spektrum an Themen und Expertise rund um Wasserstoff ab und stellt damit eine gute Plattform dar, um wichtige Botschaften oder Ergebnisse aus der alltäglichen Arbeit an das interessierte Fachpublikum zu kommunizieren. Solche Formate sind auch wichtig, weil sie die Möglichkeit bieten, gewisse Mythen innerhalb der deutschen Wasserstoffgemeinschaft aufzuklären bspw. dass Deutschland nicht in der Lage sein wird seine Bedarfe über die heimische Produktion zu decken oder dass der Schifftransport von Wasserstoff oder PtX-Produkten aus weitentlegenen Regionen ein Hindernis darstellt.

Umso mehr freue ich mich gemeinsam mit Heino von Meyer und Stéphane Dion über die Potenziale von nachhaltigen Wertschöpfungsketten und die Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im internationalen Kontext zu diskutieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Tipp: Podiumsdiskussion am 23. Juni beim HYDROGEN DIALOGUE mit Holger Lösch, Stéphane Dion (Kanadischer Botschafter, Berlin) und Heino von Meyer (Head of Global Relations and Networking, International PtXN Hub Berlin). Thema: „Sustainable international value chains as opportunities for industry and energy policy“. Beginn: 13:00 Uhr.

Aus der Wasserstoffgemeinschaft.

Für die Wasserstoffgemeinschaft.